Egill Ólafsson


Miskunn Dalfiska

Isländische Kunst der Reduktion

Manchmal ist Musik, als käme man von einer langen Reise nach Hause. Bei sich angelangt ist auch der vielseitige isländische Künstler Egill Ólafsson mit seiner neuesten CD "Miskunn dalfiska". Ob intensive Zwiegespräche mit dem Fender-Rhodes, dem Bass, der Klarinette oder fesselnde Vokalexkursionen: Ólafsson verabschiedete sich hier zunehmend von gängigen Phrasen der Musik. In "Miskunn dalfiska" dominiert die Kunst der Reduktion, entschlackt von üppigem Beiwerk, und es gelingen Passagen purer musikalischer Essenz und Existenz.

Elegant wird der Hörer sofort hineingezogen in ein Album, das Ruhe, Harmonie und Offenheit aus­strahlt, ohne in die Smooth-Jazz-Ecke abzugleiten, und das Pop-Elemente behutsam integriert, ohne dass damit ein Niveauverlust verbunden wäre. Das liegt zum einen an einer stupenden Lockerheit - jeder Ton sitzt, und zwar so mühelos, dass alles ein vornehmes Understatement atmet. Schließlich muss er nicht betonen, was er alles kann - man hört es ohnehin. Die eigentliche Kunst besteht darin, sich im Dienste des Zusammenspiels und der Songs zurückzunehmen. Und es ist eine Art Gegenbewegung: fort von der elektronisierten Lautstärke zu einer intimen, aufs äußerste personalisierten Aussage. So entwickelte er einen Individualstil von absoluter Geschmackssicherheit und einer dosiert – im Sinne einer völligen Deckung von Können und Wollen – eingesetzten Technik. Die strukturelle Klarheit schließt weder Feuer noch Beseeltheit noch Bluesatmosphäre aus. Auch Bossa Nova- und Calypso-Rhythmen haben im Leben des Isländers Spuren hinterlassen, genauso wie Bellmann oder alte isländische Rímur, und dennoch überwiegt ein konsequent weiterentwickelter, aber bislang kaum gekannter, ästhetisch dahingroovender Sound: Eine musikalische Essenz, die packt, ergreift und den Hörer entführt. Ólafsson weiß dabei seine einzigartige Stimme wie ein Instrument einzusetzen. Rhythmisch vital, und trotzdem von einer großen Sensibilität und Intimität, von einem ganz eigenen melodischen Zauber und überzeugend sowohl durch die enorm kraftvolle, melodisch-dynamische Spannkraft als auch durch den zarten Ton. Höhepunkte eines leise groovenden Albums, dessen Sog sich bei mehrmaligem Hören immer stärker entfaltet.

"Miskunn dalfiska" ist ein glänzend ausbalanciertes Album, aber es ist auch eine Platte mit Herz. Ein intimes Album, im besten Sinne des Wortes. Es ist zudem ein Beweis dafür, wie wenig Begriffe wie Jazz, Pop, Bossa Nova oder Folk in Wahrheit aussagen und wie erfrischend es klingen kann, wenn man sich auf hohem Niveau über die Grenzen solcher Begriffe hinwegsetzen kann. Zeitlose Musik in kreativer Vollendung.